Eminem leidet unter einer perfektionistischen Zwangsstörung, „Der Schrei“-Künstler Edvard Munch hatte starke Wahnvorstellungen und Halluzinationen und Beethoven hatte mit einer bipolaren Störung, Opium- und Alkoholsucht zu kämpfen. Sie sind nur drei von vielen Künstlern, die in der Kunst ihre ganz persönliche Therapie gesucht haben und ihren inneren Dämonen Ausdruck verliehen. Erfolgreich waren sie damit allemal und auch heute zeigen die Bühnen weltweit überwiegend gebrochene Menschen mit einer harten Biografie, die ihren Schmerz in bittersüße Kunst verwandeln.
Daher ist es auch irgendwie kein Wunder, dass der Umkehrschluss in vielen Künstlern verankert ist: Die richtig Guten müssen kaputt sein.
Mental Hell – die Achtsamkeitsflut, die die Welt überrollt
Durch die Corona-Pandemie hat sich die Gesellschaft verändert: Existenzängste, Einsamkeit und der Verlust geliebter Menschen begleitet viele Milliarden Menschen seit nun zwei Jahren. Das Gefühl, komplett ausgeliefert und mit der allgemeinen Situation überfordert zu sein kennst vielleicht auch du – und es hinterlässt Spuren. Psychologen und Psychotherapeuten sind komplett ausgebucht, die Wartelisten sind lang und die Nachfrage wächst. Daher wundert es nicht, dass sich viele selbst um ihren Gesundheitszustand kümmern wollen. So ein Glück, dass Coaches und Influencer weltweit genau das richtige parat haben: Die Lehre der Achtsamkeit. Dabei geht es darum, innezuhalten und sich selbst bewusst wahr zu nehmen. Die Liste der Achtsamkeits-Übungen ist lang, ganz oben steht dabei die Meditation, die einen Zugang zu den eigenen Emotionen erleichtern das Gedankenkarusell stoppen soll.
Und es wirkt: Von mehr Gelassenheit im Alltag über einen optimistischeren Blick in die Zukunft bis hin zu mehr Energie wird regelmäßig von Menschen berichtet, die Meditationen in ihren Alltag integriert haben. Doch längst nicht jeder kann sich mit dem Hype anfreunden. Da einige
Achtsamkeits-Coaches einen eher esoterischen Weg eingeschlagen haben, fühlen sich rationeller denkende Menschen oft eher abgeschreckt von Meditation und Achtsamkeit. Dabei wird der bewusste Kontakt zu Geist und Körper in eine Ecke mit Traumfängern und Weihrauch geschoben. Und da ist noch ein Problem: Will ich den Monstern in meinem Inneren wirklich begegnen? Bisher hat es doch auch irgendwie funktioniert und die Kindheit war beschissen genug; sich noch mal damit zu beschäftigen reißt nur alte Wunden auf. Diese Ansicht haben nicht nur Bänker, Lehrer oder Maurer, sondern auch einige Artists.
Wenn ich geheilt bin, wird die Kunst beschissen
Bei Künstler:innen, die doch etwas ändern möchten, liegt oft noch ein zusätzlicher Stein im Weg. Da viele Artists ihre Rückschläge in ihrer Kunst verarbeiten, sind diese Schatten des eigenen Daseins oft nicht nur der Grund, sondern auch das Herz der Kunst.
Die eigenen Erfahrungen in ein Foto, ein Gemälde, einen Beat oder einen Song zu packen, macht die Kunst aus und sorgt für eine ganz eigene Perspektive, die vermittelt wird.
Was passiert also, wenn man die eigenen Lebensthemen aufgearbeitet hat? Kann man noch so leidenschaftlich performen, wenn der Schmerz nicht mehr so tief sitzt? Verfliegt die Wut, die Power in die Kunst bringt oder die Melancholie, die die Augen von Betrachtern und Zuhörern feucht werden lässt? Artists ziehen oft jede Menge Inspiration und Energie aus den eigenen Dämonen und daher ist die These berechtigt, dass die eigenen Werke an Tiefe verlieren, sobald man mental völlig gesund ist.
Solange man also die inneren Dämonen bändigen und im Idealfall auch noch zu Geld machen kann, sollte man Sie dann loswerden?
Genie und Wahnsinn – wann wird die Kunst lebensgefährlich?
Eine Alkoholvergiftung, eine Überdosis Heroin, Suizid durch Kopfschuss: Die Todesursachen der berühmten Mitglieder des „Club 27“ ist lang. Hierbei handelt es sich um eine Auflistung erfolgreicher Musikstars, deren Leben mit 27 Jahren ein bitteres Ende nahm. Dabei fällt auf, dass vier der sogenannten „Big Six“ des Club27 selbst aktiv zu ihrem frühen Tod beigetragen haben (bei den restlichen beiden Artists bleibt die genaue Todesursache ungeklärt). Es ist fraglich, welche Umstände genau dazu geführt haben, dass diese großen Musiker:innen keinen anderen Ausweg fanden. Klar ist jedoch: Ein ausgeglichener Geist, wären diesen Schritt nicht gegangen.
Zu den ursprünglichen Lasten, die viele Artists mit sich herumschleppen, gesellt sich bei Erfolg der enorme Druck und die Ansprüche an sich Selbst. Durch die Kunst unsterblich sein, Geld und Ruhm, Anerkennung und Luxus – dieser Traum bringt Künstler:innen oft dazu, die persönlichen Grenzen weit zu überschreiten. Kokain hilft, Nächte durchzuarbeiten und Gras um wieder Schlafen zu können. Freunde und Beziehungen bleiben auf der Strecke, weil das Tourleben ruft. Durch die heutige Schnelllebigkeit im Netz fällt es dem Verstand oft schwer, dem Lebenswandel hinterher zu kommen. Frag dich doch mal Selbst: Wann hast du das letzte Mal bewusst reflektiert, was die letzten 12 Monate in deinem Leben los war?
Und dann, wenn der große Traum des Erfolgs erreicht ist, darf die Kunst nicht an Qualität verlieren. Um Emotionen aufrecht zu erhalten, versinken viele Artists gezielt in tiefe Löcher und suhlen sich in ihrem Schmerz, um pure Gefühle auffassen und vermitteln zu können. Wie sollst du schließlich deinen heftigsten Liebeskummer beschreiben, wenn dieser schon längst verdrängt und fast vergessen wurde? Auch bei solchen Sessions kommt es zu Überdosen oder depressiven Schüben, die in Suizid enden.
Die Balance, ein Drahtseilakt?
So weit, so pessimistisch. Von Künster:innen, die psychisch krank sind, über Meditation zum schnelllebigen Internet wurden viele Punkte angeschnitten. Aber was soll den nun die Lösung sein? Die eigentliche Kunst liegt, wie so oft, in der Balance. Als erstes hilft ein Mindset-Wechsel: Wird die Kunst schlechter, wenn ich mental gesund bin? Oder kann ich noch ehrlicher wiederspiegeln, was in mir vorgeht, wenn ich mich aktiv und reflektiert damit auseinandersetzte?
Ich denke, da ist was dran. Ein bisschen kaputt sind wir doch alle, wenn wir ehrlich sind. Was deine Fans abholt, sind geteilte Emotionen und das Gefühl, verstanden zu werden. Und am Besten geht das doch, wenn du einen klaren, distanzierten Blick auf deine eigenen Abgründe hast.
Fazit: Es lohnt sich, einen Blick nach Innen zu wagen. Im worst case orientierst du dich um, veränderst deine Kunst und erlangst innere Gelassenheit. Im Idealfall schaffst du es, deiner Kunst noch mehr Tiefe zu verleihen und ehrlich wie nie in den Spiegel zu schauen und dabei zu bemerken, dass du lächelst.
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